
1. Spaltung und Wutmarketing: Das Vorgehen der Rechten.
2. Zu sagen was ist, bleibt die revolutionärste Tat.
3. Die Wut einfangen und Lösungen anbieten.
4. Die Frage konkret gestellt: Was heißt das für »Fridays gegen Altersarmut«?
Die vergangenen Tage haben einmal mehr gezeigt, mit welcher existenziellen Krise die deutsche Linke zu kämpfen hat: An verschiedensten Orten Deutschlands kam es zu »Mahnwachen gegen Altersarmut«, organisiert von Menschen aus der Facebook-Gruppe »Fridays gegen Altersarmut« (FgA) mit rund 320.000 Mitgliedern – wobei weniger als 1% der Mitglieder tatsächlich an Mahnwachen teilnahm. Im Vorfeld der »Mahnwachen« war von Sozialverbänden, Kirchen, Gewerkschaften und antifaschistischen Bündnissen gewarnt worden, dass die Mahnwachen an vielen Orten von rechts dominiert seien. Tatsächlich ist auch die bundesweite Gruppe von vielen Personen durchsetzt, die Verbindungen zur AfD, zur Partei »Die Rechte«, oder zu verschiedenen rechtsradikalen Initiativen haben. Vielerorts – so auch in Schwetzingen – kam es am Rande der zumeist friedlichen Mahnwachen zu rechtsextremistischen Ausschreitungen, andernorts waren AfD-Politiker oder andere Rechtsradikale als Redner geladen.
1.
Das Vorgehen der Rechten
Dabei wird deutlich: Kräften,
die kein eigenes Konzept für die Rente haben, die auf fundamentaler
Ebene zwischen zwei einander ausschließenden Ideen, zwischen der
völligen Privatisierung der Altersvorsorge (Meuthen/Weidel-Strömung)
und der »Produktivitätsrente« (Höcke/Gauland-Flügel) gespalten
ist, kann es unmöglich um die Lösung des Problems Altersarmut,
geschweige denn um die Errichtung einer solidarischen und
zukunftsfähigen Altersvorsorge für alle gehen. Ziel dieser Kräfte
ist es im Gegenteil, gesellschaftliche Kämpfe gegeneinander
auszuspielen.
Dies zeigt sich bereits an der klaren Anlehnung des
Logos der FgA an das Emblem der »Fridays for Future«-Bewegung. Es
soll suggeriert werden, das Eintreten für eine zukunftsorientierte
Altersvorsorge, würde zugunsten eines abstrakten Problems ignoriert.
Insbesondere in Kreisen, in denen nach wie vor der Klimawandel
geleugnet wird, wird dieses Narrativ gerne angenommen.
Rechtspopulisten und -radikale bedienen jedoch nicht nur diese
Erzählung, sondern fahren mehrgleisig: Auch dass öffentliche Gelder
für Migrant*innen, Minderheiten, bestimmte Kulturprojekte oder für
Geflüchtete eingesetzt wird, gefährde demnach die Altersabsicherung
deutscher Rentner*innen – Evidenz gibt es dafür freilich keine,
geschweige denn Lösungen. Doch da die radikale Rechte ein
Wutmarketing betreibt, das fast ausschließlich darauf basiert, dass
erzürnte, besorgte Menschen dazu neigen, ein Narrativ zu stärker
verbreiten, auch und insbesondere, wenn keine Lösung angeboten wird,
finden populistische Aussagen zunehmend Verbreitung. Bei vielen
Menschen entsteht so, durch die Verknüpfung der Äußerung mit
bestimmten starken Emotionen der Eindruck, die entsprechenden Kräfte
seien die einzigen, die entsprechende Probleme ansprächen.
Auch
die Mobilisierung rechtsradikaler Kräfte zu FgA ist hierfür ein
Beispiel: Die AfD, »die Rechte«, »der dritte Weg« und andere
riefen im Vorhinein mit Aussagen zu den Mahnwachen auf, die bewusst
für Empörung und Wut sorgen sollten, Lösungen dagegen wurden
(bewusst) nicht angeboten. Dabei spielten rechte Kräfte einmal mehr
die Ärmsten der Gesellschaft gegeneinander aus. Migrations- und
geflüchtetenfeindliche Äußerungen waren an der Tagesordnung und
diese setzten sich in den entsprechenden FgA-Gruppen fort. Die
gesellschaftliche und politische Linke steht dem dabei ziemlich
hilflos gegenüber: Durch die Implementierung der Agenda 2010 haben
SPD, Grüne und auch Teile der Gewerkschaften nachhaltig das
Vertrauen vieler Menschen in Sachen Sozialpolitik und
Armutsbekämpfung verloren. Der absolute Bruch mit der Agendapolitik
wäre notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für Grüne und
Sozialdemokratie, um dieses Vertrauen zurück gewinnen zu können.
DIE LINKE dagegen, geboren aus dem Protest gegen die neoliberale
Politik von Rot-Grün, scheint wieder einmal blutleer und gelähmt.
Vielerorts duckt sie sich weg, geht der Konfrontation aus dem Weg und
wird mit den von ihr geforderten Lösungskonzepten nicht
wahrgenommen. Es stellt sich also die Frage, wie mit dieser prekären
Situation umzugehen wäre.
2. Zu sagen was ist, bleibt die
revolutionärste Tat.
Zunächst
einmal muss DIE LINKE die politische Kraft in der Bundesrepublik
sein, die soziale Probleme evidenzbasiert und klar – aber immer
empathisch – benennt. Die Kenntnis und niederschwellige Publikation
von Daten zur Sozialpolitik und der Gründe für die dynamische
Entwicklung derselben weg vom Sozialstaat, müssen jederzeit
Grundlage allen politischen Handelns sein. Dabei müssen auch die
Lebensrealitäten der Betroffenen im Fokus politischer Arbeit liegen.
Von linker Seite muss ganz klar dargelegt werden, dass es gute Gründe
gibt, nach wie vor gegen die Sozial- und insbesondere gegen die
Rentenpolitik der vergangenen 20 Jahre zu protestieren.
Zugleich
müssen die Aktive in den lokalen Strukturen befähigt werden, dies
zu leisten. Dazu bedarf es auch eines neuen Verständnisses von
Bildung in der Partei und in ihrem Umfeld: DIE LINKE muss auf allen
Ebenen, vom kleinsten Kreisverband bis auf die Bundesebene, neue
sozialpolitische Bildungsangebote errichten und Aktive zu
»Expert*innen« in der Sozialpolitik ausbilden, deren Aufgabe die
Multiplikation von Problematiken und Lösungskonzepten sein wird.
3. Die Wut einfangen und Lösungen anbieten.
Es
genügt aber nicht, nur die Evidenz darzulegen, DIE LINKE muss die
Ängste – und ja, auch die Wut –, der Menschen aufnehmen und in
ihre politischen Konzepte sublimieren – auch in die Erarbeitung von
Lösungen für soziale Probleme müssen die Erfahrungen und
Lebensrealitäten Betroffener mit einfließen. Insofern muss DIE
LINKE im besten Sinne die Partei des Dialogs werden, eine Partei, die
überall da aktiv ist, »wo es weh tut«, eine Partei, die
glaubwürdig kommunizieren kann, die politische Kraft zu sein, die
nicht nur die Sorgen der Menschen nachvollzieht, sondern daraus mit
den Menschen konkrete Lösungen erarbeitet.
Ob in den
Kommunalparlamenten, in den Bewegungen, in den Gewerkschaften, auf
der Straße, in den Landtagen oder im Bundestag: DIE LINKE muss
überdeutlich die Partei sein, die nicht nur das soziale Gewissen der
politischen Gesellschaft ist, sondern die mit allen Mitteln Druck zur
sozialen Transformation aufbaut und dauerhaft aufrechterhält –
unabhängig davon, ob sie an der Regierung beteiligt ist, oder die
soziale Opposition darstellt.
Dabei muss es auch gelingen,
demokratisch-sozialistische Konzepte (niedrigschwellig) in die
Bevölkerung und in die Gewerkschaften, Initiativen und Bewegungen zu
kommunizieren. Die Menschen müssen auf allen Ebenen wahrnehmen
können: DIE LINKE ist da, DIE LINKE ist aktiv, DIE LINKE bietet
Lösungen an! Das bedeutet auch, konkrete Hilfsangebote wie die
»Sozialsprechstunde« auszubauen, wo immer dies möglich ist – und
diese Angebote glaubwürdig zu kommunizieren. Auch hierfür ist
allerdings eine strategische und systematische Ausbildung der
Aktivenbasis vor Ort nötig, die bisher nur bedingt gegeben ist.
Nicht zuletzt ist es die mittelfristige Mission der Linken – und damit auch der Partei DIE LINKE – immer wieder zu verdeutlichen, dass weder verschiedene soziale Kämpfe, noch die Bewältigung sozialer und ökologischer Fragen sich ausschließen oder gegeneinander ausgespielt werden können. Sei es die Klimafrage, die Mietenproblematik, die Frage der Altersarmut, migrations- und friedenspolitische Fragen, oder der Streit für Demokratie und Menschenrechte: Die Linke muss es sich zur Aufgabe machen, die Menschen – insbesondere jene, die sich nicht täglich mit Politik befassen – zur Erkenntnis zu befähigen, dass diese Kämpfe nicht in einem politischen Vakuum stattfinden, sondern schon deshalb zusammen gedacht werden müssen, weil sie zumindest teilweise allesamt Ausdruck kapitalistischer Dynamiken sind. Wobei es auch gilt, ein Bewusstsein zu schaffen, dass sich die sozialen Interessen in Deutschland geborener Armutsrentnerinnen, unterbezahlter Saisonarbeiter aus Polen und in prekären Verhältnissen lebender Geflüchteter nicht ausschließen sondern sich ergänzen können – denn wir alle sitzen in einem Boot!
4. Die Frage konkret gestellt: Was heißt das für »Fridays gegen Altersarmut«?
Dass die Rechte ausgerechnet das Thema Altersarmut für sich okkupieren kann, überrascht nicht: Während es, oft getragen von Sozialverbänden und Gewerkschaften, auf dem Papier etliche demokratische Bündnisse gegen Altersarmut gibt, zeigt die Datenbasis, dass keine Verbesserung in Sicht ist. DIE LINKE muss sich nicht nur mit demokratisch-sozialistischen Perspektiven in diese Bündnisse einbringen, sie muss sich auch zur verlässlichen politischen Partnerin dieser Bündnisse entwickeln und zugleich der Bevölkerung mit linken Konzepten konkrete Gegenangebote zu rechter Vereinnahmung dieses Themas machen. Zu verdeutlichen, dass das rechte Narrativ, es gäbe Altersarmut, weil der Staat zu viel in Umwelt- oder Migrationspolitik, bei genauerer Betrachtung der Evidenz nicht standhalten kann, ist essentiell. Dabei gilt es, insbesondere jene, die betroffen sind, oder sein werden ins Boot zu holen und zu ermutigen, sich in Gewerkschaften und Sozialverbänden – und in der Partei – zu organisieren und einzubringen. Denn welche besseren Multiplikator*innen könnte es geben, als Menschen, die von ihren eigenen Erfahrungen berichten können und aus ihrer konkreten Lebensrealität heraus gemeinsam mit uns den Kampf gegen Altersarmut aufnehmen?
Abschlussbemerkung:
Es muss die konsistente politische Praxis der Partei DIE LINKE sein, gleichzeitig für eine solidarische und emanzipatorische Sozialpolitik, für eine progressive Klima- und Umweltpolitik, für die konsequente Umsetzung der Menschenrechte, sowie für die Demokratisierung aller Gesellschaftsbereiche insbesondere der Wirtschaft zu streiten und zugleich fähig zu sein, sich mit allen demokratischen Kräften – so scharf auch an anderer Stelle die Kritik an ihnen sein mag – gegen faschistoide Elemente zu verbünden.
Debattenbeitrag von Florian Reck.