
Unmittelbar nach dem rechten Terroranschlag von Hanau organisierten Mitglieder von DIE LINKE. SchwetzingenPLUS gemeinsam mit der Linksjugend, den JuSos, der SPD und den örtlichen GRÜNEN eine Kundgebung und Mahnwache, um den Menschen in und um Schwetzingen einerseits die Möglichkeit zu geben, ihre Trauer und Betroffenheit auszudrücken, und sndererseits, um den vielen Menschen Solidarität zu zeigen, die durch solche Akte rechter Gewalt immer wieder in Gefahr geraten. Diese fand am 23. Februar vor dem Lutherhaus auf den kleinen Planken in Schwetzingen statt und wurde von rund 250 Menschen aus Schwetzingen und den umliegenden Gemeinden besucht – die Welle des Mitgefühls mit den Betroffenen war überwältigend und machte Mut, weiter für eine konsequent solidarische Gesellschaft zu kämpfen.
Für DIE LINKE und die Linksjugend sprachen dabei Hanna Matuschek und Florian Reck, deren Redebeiträge „Quo vadis, Almanya?“ und „Ein Aufruf an die Anständigen!“ hier nun nochmals verschriftlicht erscheinen. Beide Reden sind lautstarke Appelle, für die Demokratie und ihre Weiterentwicklung sowie für die offene Vielfaltsgesellschaft einzutreten, gleichzeitig aber faschistoide Tendenzen konsequent politisch zu bekämpfen – immer und überall!
Hier geht es zum Artikel in der Schwetzinger Zeitung: „Liebe für alle – Hass für keinen.
Im Folgenden findet ihr die Reden im Wortlaut wieder:
Hannas Rede: Quo vadis Almanya?
Als ich nachts die Eilmeldung über den Terroranschlag aufs Handy bekam, war ich entsetzt und fassungslos. Fassungslos, dass nach all der rechtsextremen Gewalt, nachdem kurz davor eine Rechtsterroristische Organisation von den Polizei hochgenommen wurde, immer noch nicht entschlossen genug die Gewalt von Rechts benannt und gegen sie vorgegangen wird.
Ich habe die Nacht in Twitter verbracht, erst um zu erfahren was wirklich passiert ist, doch dann sag ich, dass Twitter voll von Menschen war, die Angst hatte, weil sie ihre Liebsten nicht erreichten. Freundinnen und Freunde, Schwestern und Brüder, Mütter und Töchter, Cousinen und Cousens, Menschen, die sie lieben.
Ich habe die Nacht mit einer jungen Frau gewartet, die hilflos darauf wartete, dass sie ihre Liebsten erreicht und ihr mit Solidarität das kleine Bisschen zu helfen, was ich als Fremde weit weg tun konnte.
Die in Berlin-Wedding lebende Nadire. Biskin schrieb in einem Tweet, dass sie ihrem jüngeren Bruder davon abrät in die Moschee zu gehen und davon in die Shisha-Bar. Dann fragt sie, wohin ein Junge wie er freitagabends sonst hin soll? „In eure Clubs darf er nicht rein. In eure Bibliotheken darf er höchstens als Security“
Rassismus ist es nicht erst, wenn der Hass so stark wird, dass Menschen ermordet werden. Rassismus beginnt, wenn Menschen auf Grund ihres Aussehens abgewiesen und benachteiligt werden. Wenn Menschen Probleme haben eine Wohnung zu finden, weil sie den vermeintlich „falschen Nachnamen haben“. Doch dieser Rassismus wird viel zu lange schon kleingeredet und übersehen.
In einem Gastbeitrag in der Berliner Zeitung fragt sie:
„Wie wirkt es einer Wiederholung entgegen? Wie wird diesmal mit Angehörigen der Ermordeten umgegangen? Wessen Stimme wird gehört? Was sind die Konsequenzen, die die Politik zieht? Wird es wieder einen Anschlag geben? Diesmal auf sogenannte Brennpunktschulen? Wie sollte man sich als potenziell gefährdete Person verhalten?“ Und fragt am Ende: „Quo vadis, Almanya?“
Viel zu lange schon wird ein Diskurs über Menschen geführt und nicht mit ihnen. Es werden Menschengruppen konstruiert an Hand von Vorurteilen. Dadurch werden Unterschiede hochstilisiert um ein Gefühl von WIR gegen DIE zu erschaffen, welches seine Perversion in der Erhöhung über DIE ANDEREN findet, im Rassismus, im Sexismus, in Homophobie, im Ableismus.
Vermeintliche Politiker heizen Wut und Hass an. Es wird von einer drohenden „Umvolkung“ gesprochen, es werden Anfragen über Schwerbehinderungen auf Grund von Inzest bei Menschen mit Migrationshintergrund gestellt, über die Anzahl von Frauen im „gebärfähigen Alter“. In den letzten 9 Monaten mündete dieser Hass, dieser Rassismus in Gewalt. In eine Form von Rassismus, die es nicht mehr so einfach machte ihn zu übersehen.
Allein in der letzten Wochen wurde eine rechtsextreme Gruppe gestoppt, welche unteranderem Anschläge auf 10 Moscheen und Politiker geplant hatte um eine Bürgerkrieg auszulösen. 11 Menschen wurden in Hanau von einem Rechtsextremisten ermordet, es gab einen versuchten Sprengstoffattentat auf die KZ-Gedenkstätte Dora-Mittelbau, Brandanschläge auf ein Gebäude mit einer Shisha-bar und einem Döner-Imbiss in Döbel, Sachsen, sowie Schüsse auf eine Shisha-bar in Stuttgart.
Wieviel mehr muss passieren? Wie viele Menschen müssen noch ermordet werden?„Quo vadis, Almanya?“
Florians Rede: Ein Aufruf an die Anständigen!
Zunächst möchte ich euch danken, dass ihr alle gekommen seid, um eure Betroffenheit und Trauer auszudrücken – und ein Zeichen für die demokratische Vielfaltsgesellschaft zu setzen. Ich stelle aber die Frage: Reicht es jetzt, Betroffenheit zu zeigen und sein Mitgefühl auszudrücken? Die folgenden Worte, die ich an euch richten möchte, fallen mir nicht leicht, beim Gedanken, sie heute sprechen zu müssen, schnürte es mir immer wieder fast die Luft ab. Auch weil ich weiß – und die jüngsten Kommentare in den sozialen Medien haben es mir wieder überdeutlich gemacht – ich bringe meine Umfeld damit unter Umständen in Gefahr. Aber manchmal muss sein, was sein muss.
»Sie müssen damit leben, Ministerpräsident von Gnaden derjenigen zu sein, die Liberale, Bürgerliche, und Millionen weitere in Buchenwald und anderswo ermordet haben. Ich gehe guten Gewissens,« mit diesen Worten übergab Benjamin Immanuel Hoff, die Thüringer Staatskanzlei an Thomas Kemmerich. Er benennt, was lange viele nicht benennen wollten: Es gibt in diesem Land eine neue rechtsradikale Partei mit bröckelndem bürgerlichem Anstrich, die in einer mörderischen faschistoiden Tradition steht. Die Mitschuld dieser Partei und ihres ideologischen Umfeldes für die Anschläge auf Walter Lübcke, auf die Synagoge in Halle, und auch für den Anschlag in Hanau, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden! Denn diese Kräfte waren es, die kalkuliert die Grenzen des Sagbaren immer weiter nach rechts verschoben hat. Bewusste Provokationen, bewusste Grenzüberschreitungen, die ihren jüngsten Höhepunkt in einem rassistischen »Malbuch« der AfD in Nordrhein-Westphalen fanden, dienten immer wieder zum abstecken dieser Grenze – um sie demnächst wieder zu überschreiten. Jede Zusammenarbeit mit solchen Kräften, verbietet sich für aufrechte Demokratinnen und Demokraten!
So hält der, von den Medien regelmäßig fälschlicherweise als »moderat« bezeichnete Jörg Meuthen »Bescheidenheit bei der Entsorgung von Menschen« für »unangebracht. Für einen anderen AfD-Politiker sind brennende Geflüchtetenwohnheime »kein Akt der Aggression«. Ein dritter meint sogar, es gäbe in Deutschland genug Migranten, »dass sich ein Holocaust mal wieder lohnt«. Und was Björn Höcke mit einer Politik der »Wohltemperierten Grausamkeit« meint, bleibt ungewiss.
Dass
diese und andere diffuse Verherrlichungen und Verharmlosungen von
Gewalt aus jenem Lager den öffentlichen Diskurs strategisch nach
rechts verschieben sollen, und zugleich die Hemmschwelle zur
Anwendung verbaler – und auch physischer Gewalt – senkt, ist
längst offensichtlich. Immer häufiger kommt es zu Anfeindungen,
Drohungen und körperliche Gewalt gegen all jene, die von der
radikalen Rechten als minderwertig angesehen werden! Und immer wieder
wird diesen strategischen Diskursverschiebungen, immer wieder wird
den wirren Verschwörungsideologemen, die in der AfD und bei anderen
Akteur*innen der radikalen Rechten zum Selbstverständnis gehören,
eine Bühne geboten. Wenn nach dem Anschlag von Hanau, jetzt also in
den Medien naiv die Frage »Woher kommt der Hass!« gestellt wird,
dann muss ich feststellen: Das ist an Scheinheiligkeit kaum zu
überbieten! Wir wissen woher der Hass kommt! Er wird in der
radikalen Rechten geschürt und – aufgrund eines falsch
verstandenen Objektivitätsanspruchs – oft genug quasi
unkommentiert in den Medien verbreitet!
Ergeben wir uns also
auch nicht der Falschbehauptung, der Täter von Hanau sei nur ein
weiterer Einzeltäter! NEIN! Höcke, Gauland, Meuthen, Gedeon, Räpple
und Konsorten mögen nicht den Abzug betätigt haben, aber sie
lieferten die ideologische Munition bei dieser mörderischen Tat! In
der soziologischen Terrorforschung spricht man bei Anschlägen wie
dem in Hanau deshalb von »stochastischem Terror«, bei dem die Täter
nicht formell in terroristischen Kreisen organisiert sind, sondern
durch die Normalisierung rechtsradikaler Ideen den Entschluss zum
Anschlag fassen.
Und kaum war der Anschlag begangen, begann
auch schon der altbekannte Evergreen der AfD-Rhetorik aus
Relativierungen, Verharmlosungen und Verschwörungsideologien gepaart
mit geheuchelter Betroffenheit. So behauptet Meuthen, man möge doch
nicht von einem rechtsradikalen Terroristen sprechen, sondern von
einem »wahnsinnigen Irren«. Benjamin Haupt von der AfD Speyer
verbreitete gar die Verschwörungsidee, die ganze Sache sei
inszeniert gewesen und angeblich hätten Zeugen einen ganz anderen
Täter gesehen. Seine Quelle: Rechtsradikale Fake-Seiten im Internet.
Insbesondere die Äußerung von Meuthen ist interessant, ist für
die AfD an jedem brennenden Mülleimer ein Linker Schuld und an jedem
Taschendiebstahl ein Migrant – zumindest, bis das Gegenteil belegt
ist. Die Heuchelei ist schwer zu ertragen – noch schwerer zu
ertragen ist, dass 75 Jahre nach der Befreiung vom Hitler-Faschismus
immer noch Menschen in Deutschland durch rechte Gewalt sterben.
Menschen wie ihr und ich, die einen entspannten Abend in einer
Shisha-Bar verbringen wollten.
Ja,
das konkrete Motiv hierfür war ein rassistisches – deshalb wurden
diese Tatorte, Hotspots migrantischen Lebens, gewählt. Dieses Motiv
wurde jedoch überdacht von einem größeren antifeministischen und
antisemitischen Ideologem – und dabei ist es kein Zufall, dass
einerseits AfD-Politiker wie Wolfgang Gedeon nicht müde werden, von
der zionistischen Weltverschwörung zu faseln und dass andererseits
die AfD erst vor kurzem eine rassistische Fake-News-Kampagne gegen
Shisha-Bars durchführte.
Wenn man sich alles durch den Kopf
gehen lässt, was wir heute und in den letzten Tagen gehört haben,
könnte man resignieren, doch es gibt auch Hoffnung: Euch!
»Ich
bin aus Anstand Antifaschistin geworden!« sagte Marlene Dietrich
einmal – und wenn ich euch ansehe, sehe ich viele anständige
Menschen, die nicht bereit sind, zu resignieren!
Menschen, die
bereit sind sich dem neuen Faschismus konsequent in den Weg zu
stellen! Menschen, die nicht hinnehmen werden, wenn ein rechter
Terrorist Menschen aus unserer Mitte reißt! Menschen, die bereit
sind »NEIN« zu sagen – Nein zu rassistischer Hetze, Nein zu
Frauenfeindlichkeit, Nein zu Antisemitismus!
Und GEMEINSAM
haben wir eine Chance! GEMEINSAM können wir die Kultur des Hasses
zurückdrängen, GEMEINSAM können wir dafür sorgen, dass der
Einfluss der AfD, der Antagonistin der demokratischen
Vielfaltsgesellschaft, sich künftig wieder auf das örtliche
Schützenhaus begrenzt! GEMEINSAM können wir die
Hegemoniebestrebungen der radikalen Rechten brechen! Doch dafür
müssen wir ALLE bereit sein, solidarisch zusammen zu stehen! Lassen
wir uns nicht im Kampf gegen den Faschismus spalten! Sondern treten
wir täglich für eine demokratische Gesellschaft ein, in der wir
ALLE, einen Platz haben. Sie ist es wert!
Meine Eingangsfrage beantworte ich demnach mit einem klaren »NEIN!«, es genügt nicht, jetzt Betroffenheit und Trauer zu bekunden, sondern wir ALLE sind gefragt, wenn wir wollen dass sich etwas ändert – und dazu gehört auch eine gewisse Portion solidarischer Zorn! Zorn darüber, dass immer noch Menschen in diesem Land in Angst leben müssen, weil sie nicht in das Bild dessen passen, wie die Gesellschaft aus der Sicht bestimmter Ideologen aussehen sollte!
Es lebe die offene, demokratische und solidarische Gesellschaft!
Nie wieder Faschismus!